Vor dem Festspiel-Start in Bayreuth ein (Rück-)Blick auf Skandale und Skandälchen. Und auf den Einsatz von Uwe Eric Laufenberg.
BAYREUTH. Die Kultur scheint momentan eher Kampfzone als Repräsentationsfläche zu sein, wenn man an die aktuellen Antisemitismus- oder Kolonialismus-Debatten denkt. Ganz zu schweigen vom Krieg, von Kontroversen um Stars auf Kuschelkurs mit Putin oder von den Corona-Überlebenskämpfen in der Theaterlandschaft.
Ob man von diesem düsteren Hintergrund beim Prominenten-Auftrieb am 25. Juli in Bayreuth etwas spüren wird? Fragmente der rauen Wirklichkeit haben es ja immer mal wieder geschafft, an der Politur der Festlichkeit zu kratzen: Studierende protestierten 2018 gegen die Flüchtlingspolitik, Klimaaktivisten spielten 2019 am Rande des Roten Teppichs lebende Leichen. Ein Zustand, der sich übrigens auch ganz ungeplant im tropisch aufgeheizten Festspielhaus einstellen kann.
Festspiel-Freundin Angela Merkel
2019 schwitzte hier noch der Putin-Freund Valery Gergiev am Dirigentenpult für einen szenisch originellen „Tannhäuser“. Heute würde er in Bayreuth keinen Fuß mehr in die Tür bekommen. Die Festspiel-Freundin Angela Merkel hingegen, die hier als Bundeskanzlerin, wenn man das so sagen darf, ihre glamourösesten Auftritte hatte, wird auch im Ruhestand ein gern gesehener Gast mit wirklichem Interesse am Werk sein. Ihr dürfte im Gegensatz zu anderen Stargästen die Diskrepanz zwischen den Festspielen als konservativem Hotspot und Wagners eigentlich revolutionärem Konzept bewusst sein. „Der Ring des Nibelungen“, der Vierteiler um die verhängnisvolle Liebe zum Gold und zur Macht, sollte ja ursprünglich ein Gratis-Happening in einer temporären Bretterbude sein.
Der neue „Ring“-Regisseur ist aus Darmstadt bekannt
In diesem Jahr steht der „Ring“, nach Frank Castorfs und Kirill Petrenkos Interpretation 2013, wieder in einer Neuproduktion auf dem Spielplan. Diesmal ist der aus dem Staatstheater Darmstadt („Turandot“, „Maskenball“) bekannte Valentin Schwarz der Regisseur. Für den an Corona erkrankten Dirigenten Pietari Inkinen springt Cornelius Meister ein. Ursprünglich war Meister für „Tristan und Isolde“ gebucht. Diese Eröffnungs-Produktion wird nun Markus Poschner übernehmen.
Wenn man von Umbesetzungen und dem Ausfall von Wotan (und Holländer) John Lundgren wegen „schweren persönlichen Problemen“ absieht, ist der Erregungspegelstand vor den Festspielen in diesem Jahr niedrig. Erst kurz vor der Eröffnung liegt Skandal in der Luft: Der „Nordbayerische Kurier“ berichtet von Sexismus und Übergriffen im Festspielhaus, auch gegenüber der Festspielleiterin. „Ich habe mich aber zu wehren gewusst“, sagte Katharina Wagner der Nachrichtenagentur dpa. Der „Nordbayerische Kurier“ thematisiert zudem angeblich frauenfeindliche Äußerungen des Dirigenten Christian Thielemann. Offenbar bekommt Bayreuth eine MeToo-Debatte.
Die Zeiten, in denen noch Familienkrach bei Wagners für Aufmerksamkeit sorgte, scheinen indes ganz vorbei zu sein, seit Richards Urenkelin Katharina keine Konkurrenz mehr in der Person von Cousine Nike hat. Aber es muss ja nicht unbedingt in der Familie krachen, um die Aufmerksamkeit auf die Festspiele zu lenken. 2012 zum Beispiel sorgte ein Hakenkreuz-Tattoo des als Holländer engagierten Bassbaritons Evgeny Nikitin für Aufsehen und die vorzeitige Abreise des Russen. Die Vergangenheit ist ja auch sehr gegenwärtig, dort wo einst Hitler im Sprechgesang gefeiert wurde: „Lieber Führer, sei so nett, zeige Dich am Fensterbrett.“ Eigentlich erstaunlich, dass sich angesichts der Verbindung von Wagner-Wallfahrt und Führerkult die Festspiele wieder zum „Aushängeschild unserer Kulturnation“ entwickeln konnten. So wurden sie 2014 von der damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters genannt.
Auf dem Weg dahin gab es Widerstand. Zum Beispiel, als 1956 die „Meistersinger“ in der Ästhetik von Wieland Wagners „Neubayreuth“ konservative Gemüter zu Buhrufen animierten. Auch Patrice Chéreaus „Jahrhundertring“ (1976) kam bei den Wagnerianern gar nicht gut an, bevor er zur Legende wurde. Letzteres blieb dem „Tannhäuser“ (2011) des Regisseurs Sebastian Baumgarten versagt. Wahrscheinlich gebührt dem Ende der edlen Elisabeth in einer Biogasanlage sogar die Goldene Zitrone für den dämlichsten aller Regie-Einfälle der letzten Jahrzehnte. Nicht aus jedem Skandälchen wird also Kult, aber manchmal liebevolle Erinnerung: etwa an die „Lohengrin“-Ratten von Hans Neuenfels oder die kopulierenden Krokodile im letzten „Ring“.
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Weniger niedlich der Krach um den letzten „Parsifal“: Für 2016 war das „Bühnenweihfestspiel“ in der Neuinszenierung des für seine Hitlergruß-Performance bekannten „Skandalkünstlers“ Jonathan Meese geplant. Mit der Begründung, sein Konzept würde das Budget überschreiten, wurde Meese dann aber wieder ausgeladen. Das war die Gelegenheit für den Wiesbadener Intendanten Uwe Eric Laufenberg. Er konnte kurzfristig einspringen, weil er noch ein „Parsifal“-Konzept, das für seine geplatzte Intendanz in Köln gedacht war, in der Tasche hatte. Für Meese war er dann ein „Kameradenschwein“. Fast schon enttäuschend wenig skandalös aber geriet die Premiere, die in deutschen Feuilletons ziemlich zerrissen wurde. Das wollte der beleidigte Regisseur nicht auf sich sitzen lassen und konterte öffentlich mit seinem Traktat „Antwort an die Schnellvernichter“.
Eine zweite Chance würde er auf dem Grünen Hügel sicher nicht bekommen. Dafür veranstaltet er in Wiesbaden sein Klein-Bayreuth und bestückt die eigenen Inszenierungen mit Stars vom Grünen Hügel. Andreas Schager etwa, der Siegfried-Sänger, oder Catherine Foster, die aktuelle Isolde, halten ihm die Treue.
Ob es nur üble Nachrede ist, dass Holger von Berg, damals Geschäftsführer der Bayreuther Festspiele, 2016 ein Fan der „Parsifal“-Inszenierung war? Seit 2021 ist er als Geschäftsführender Direktor Laufenbergs Partner in der Leitung des Staatstheaters Wiesbaden. Mittlerweile sollen die Spannungen zwischen ihm und Laufenberg aber ähnlich groß sein wie einst zwischen ihm und Festspiel-Chefin Katharina Wagner. In Wiesbaden weiß man sehr gut, dass auch Staatstheater Kampfzonen sein können.
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