Energiekrise, Inflation und hohe Papierpreise machen es der Buchbranche schwer – die Frankfurter Buchmesse soll ein Hoffnungszeichen setzen. Was dem Buchmarkt helfen könnte.
FRANKFURT/MAINZ. In nur wenigen Wochen wird Frankfurt für einige Tage wieder zum Zentrum der literarischen Welt: 4000 Aussteller aus 95 Ländern werden vom 19. Oktober an bei der 74. Buchmesse in der Main-Metropole erwartet – nach der im Umfang stark reduzierten Präsenzmesse im vergangenen Jahr nähert sich das weltgrößte Treffen der Buchbranche damit langsam aber sicher wieder seiner vorpandemischen Größe an. Für Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, ist das ein wichtiges Hoffnungszeichen. „Es ist praktisch ein Neustart Buchmesse“, sagt sie. „Das ist auch das Gefühl in der Branche – da ist ganz viel Vorfreude und Herzklopfen, das uns alle vereint“.
Eine Feier des Wiedersehens, des Miteinanders, der Wiederbelebung internationaler Kontakte soll die Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr werden – für die Buchbranche wäre das ein Lichtblick zur rechten Zeit. Denn sie hat derzeit nicht nur mit den Folgen der Pandemie und den Auswirkungen von Inflation und Energiekrise zu kämpfen, sondern auch mit einer schon länger andauernden Rohstoffkrise. Dabei geht es vor allem um eins: Papier. „Die großen Papierfabriken haben vor einiger Zeit festgestellt, dass man mit Versandverpackungen mehr Geld verdient und weniger reines Papier verbraucht als bei der Herstellung grafischer Papiere“, erklärt Schmidt-Friderichs. Große Kontingente der Produktion seien daher auf Verpackungen umgestellt worden. „Dadurch wurden grafische Papiere schon vor der Energiekrise rar“.
Entlastung: Mehrwertsteuer auf Bücher streichen?
Jetzt kommt die Energiekrise dazu – und „zwei ungünstige bis gefährliche Rahmenbedingungen“ treffen zusammen. Schon im laufenden Jahr müssten Verlage bei Papier und Druckdienstleistungen Preissteigerungen von bis zu 50 Prozent verkraften, 2023 könnte noch einmal eine weitere Steigerung von bis zu 30 Prozent dazukommen. „Das haut jede normale Kalkulation auseinander“, sagt Schmidt-Friderichs.
Wie sich Papiermangel und Preissteigerungen bereits jetzt bemerkbar machen, verdeutlicht die Verlegerin, die in Mainz gemeinsam mit ihrem Mann den besonders auf Themen aus den Bereichen Grafik und Kreativwirtschaft spezialisierten Verlag Hermann Schmidt leitet, an einem Beispiel aus ihrem eigenen Haus: „Wir können im Moment kein einziges Buchprojekt so realisieren, wie wir es uns eigentlich vorstellen.“ Für Papier und Einband, die für ein bestimmtes Buch ausgewählt wurden, müsse oft auf Alternativangebote zurückgegriffen werden – und die „sind alle immer teurer als kalkuliert“, zumal wenn man einen hohen Qualitätsanspruch verfolge. Oft seien auch die Papiermengen nicht ausreichend, sagt Schmidt-Friderichs. „Man hat beispielsweise für 4000 Exemplare kalkuliert, darauf das gesamte Budget abgestimmt, und dann kommt Papier für 3000 Exemplare – und dafür kann man noch dankbar sein.“ Teilweise müsse im Laufe des Herstellungsprozesses vier bis zehnmal umgeplant werden – was viel Zeit, Nerven und Geld kostet.
Börsenverein fordert Unterstützung durch Politik
Um den durch die Energiekrise verschärften Kostendruck für Verlage und auch Buchhändler zu lindern, fordert der Börsenverein Unterstützung durch die Politik. Er regt unter anderem an, die Mehrwertsteuer auf Bücher zu streichen – eine Möglichkeit, die die EU jüngst geschaffen hat. „Das wäre die fairste und unkomplizierteste Möglichkeit der Förderung“, sagt Schmidt-Friderichs – weil von der so geschaffenen finanziellen Entlastung alle in der Buchbranche Tätigen im gleichen Maße profitieren würden, vom Verlag über die Buchhändler bis hin zur Logistik. „Das würde die gesamte Lieferkette absichern. In der Buchbranche machen wir mehr als nur ein Produkt; wir machen Inhalte und Kultur. Damit bringen wir Stabilität in die Gesellschaft. Aber das können wir nur, wenn die Branche stabil ist“, so Schmidt-Friderichs. Ihre Sorge ist, dass die Politik in der gegenwärtigen Krise derzeit vor allem die großen Konzerne im Blick hat, aber weniger den Mittelstand als eigentliches Herz der deutschen Wirtschaft – zu dem auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen der Buchbranche zählen.
Gezielte Entlastungsmaßnahmen für kleinere Unternehmen könnten in diesem Winter ein zusätzlicher wichtiger Unterstützungsschub sein. Denn als weitere Schwierigkeit kommt für die Buchbranche derzeit dazu, dass sich auch die Umsatzzahlen wieder eingetrübt haben. Nachdem Buchhandlungen und Verlage ihren Gesamtumsatz 2021 noch um 3,5 Prozent steigern und so dem Vorpandemiejahr 2019 annähern konnten, liegt der Umsatz für die ersten neun Monate des Jahres 2022 nun 1,4 Prozent unter dem Vorjahresergebnis und zwei Prozent unter 2019. Zeigt sich hier bereits ein zürückhaltenderes Kaufverhalten von Leserinnen und Lesern aufgrund von Inflation und unsicheren Zukunftsaussichten? „Ich glaube, wir haben derzeit eine gewisse Kaufzurückhaltung über alle Branchen hinweg“, sagt Schmidt-Friderichs. Dazu komme das Problem der immer noch leereren Innenstädte. „Die Menschen wollen an sich gerne analog kaufen, aber wenn sie nicht oder weniger in der Stadt sind, kommt auch kein Zufallskauf zustande“. Sie plädiert jedoch auch dafür, die vorläufigen Zahlen für 2022 nicht überzubewerten: „Wir bauen sehr stark auf das Weihnachtsgeschäft. Unser wirklicher Schwerpunkt, den die Frankfurter Buchmesse einläutet, ist das letzte Quartal. Daher habe ich Hoffnung“.
„Sachbuch bestes Mittel gegen Populismus und Fake News“
Zumal es, betont Schmidt-Friderichs, ja auch viele gute Gründe dafür gibt, gerade jetzt zum Buch zu greifen. Gerade in der Coronapandemie hätten viele jüngere Menschen das Buch wieder stärker für sich entdeckt – auch in diesem Herbst und Winter böten die vielen Neuerscheinungen zur Buchmesse die Möglichkeit, „sich in ein Buch zu versenken und so vielleicht auch ein wenig abzutauchen“, im Sinne eines positiven Eskapismus. Sachbücher wiederum seien insbesondere in der aktuellen Weltlage, vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und weiterer Krisen, besonders wichtig: „Es gibt kein besseres Mittel gegen Populismus, Fake News und voreilig oder vorschnell nachgeplapperte Meinungen, als ein fundiertes Sachbuch“, sagt Schmidt-Friderichs, die darauf baut, dass die Frankfurter Messe auch in dieser Hinsicht ein wichtiges Zeichen setzen wird. Als größte Buchmesse der Welt spiegele sie immer auch das Weltgeschehen und die Weltpolitik. „In diesem Jahr haben wir eine große Fläche für ukrainische Verlage, geben russischen Dissidenten und Dissidentinnen ein Podium. All das wird, glaube, ich positive Folgen haben.“
Von Johanna Dupré