Darmstädter Bildhauer Gerhard Roese gibt sein Atelier auf, weil er die Miete nicht mehr zahlen kann
Von Johannes Breckner
Leiter Kulturredaktion Darmstadt
Ende einer Kunstbaustelle: Gerhard Roese vor seinem geschlossenen Atelier an der Landwehrstraße in Darmstadt. Foto: Guido Schiek
( Foto: Guido Schiek)
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DARMSTADT - Gut, dass gerade ein paar Milchdöschen auf dem Tisch stehen. Gerhard Roese nimmt zwei von ihnen und legt sie mit den Deckeln übereinander. So symbolisiert er die Welten von Licht und Dunkelheit, Glück und Verzweiflung, Leben und Tod, und damit man ja nichts verpasst, holt er noch einen Edding aus der Hosentasche und markiert die Plastikböden. Zwischen den Welten, sagt Roese und schüttelt die Milch, gibt es keine Verbindung. Aber seine Kunst will Öffnungen schaffen.
Nein, es sind keine komplexen Theoriemodelle, mit denen der Bildhauer seine Arbeit erklärt. Aber an der Ernsthaftigkeit seines Anliegens gab es niemals Zweifel; das letzte große Projekt „Dekalog in Flammen“ war die Rekonstruktion der zerstörten Synagoge in der schlesischen Stadt Glatz, die sich in vielen Teilen summierte zur historischen Skulptur, in der Recherche und emotionale Antwort einander begegnen. Aus dem Zufallsfund im Nachlass des Fotografen entwickelte sich eine mit künstlerischen Mitteln weitergedachte Begegnung mit der Vergangenheit: eine entschieden den Opfern zugewandte Kunst.
Die größten Teile realisierte Roese in dem Atelier an der Landwehrstraße, in einem ehemaligen Industriebau, den er über das Kulturamt der Stadt Darmstadt vermittelt bekam, das auch einen Mietzuschuss zahlte. Zum Jahresende hat er dieses Atelier verlassen müssen. Das Geld hat nicht mehr gereicht für die Miete, selbst dreihundert Euro können zuviel sein, wenn man von einer winzigen Berufsunfähigkeitsrente leben muss, ein Antrag auf weitere Verringerung oder Stundung der Miete war erfolglos.
ZUR PERSON: GERHARD ROESE
Gerhard Roese, 1962 in Darmstadt geboren, studierte Bildhauerei als Schüler von Hiromi Akiyama an der Staatlichen Kunstakademie Karlsruhe, von 2001 bis 2003 absolvierte er zusätzlich ein Studium der Kunstgeschichte und klassischen Archäologie in Mainz.
Seit 1989 hat Roese sein Atelier in Darmstadt. Zunächst arbeitete er in einem ehemaligen Baracken-Klassenraum an der Büchnerschule, danach ab 2009 im Atelierhaus an der Riedeselstraße.
Seit Mai 2016 war Roeses Atelier auf dem ehemaligen Industriegelände an der Landwehrstraße 75. Ende Dezember 2017 ist er dort ausgezogen. (job)
Die Stadt Darmstadt teilt auf Anfrage mit, sie habe keine Möglichkeit zur Reduzierung der Miete gesehen. Dies hätte auch ein „großes Ungleichgewicht“ im Vergleich zur Förderung anderer Künstler bedeutet. Die Kulturverwaltung habe Roeses künstlerische Arbeit „über sehr viele Jahre mit ermöglicht“, die Aufgabe des Ateliers sei „im gegenseitigen Einvernehmen“ erfolgt.
Das sieht auch Roese nicht anders. Dabei hatte sein Neustart im Darmstädter Westen zunächst vielversprechend begonnen, nachdem er das städtische Atelierhaus in der Riedeselstraße verlassen musste und die Suche nach einem Ersatz sehr, sehr schwierig verlaufen war. Weil Roese ein freundlicher und kommunikativer Mensch ist, entwickelte sich eine gute Nachbarschaft zu den Handwerkern und Gewerbetreibenden nebenan, und Roese schien durch die Umgebung auch neuen Antrieb gewonnen zu haben.
Aber der Raum war ohnehin ein Notbehelf, sagt Roese heute. Das Lagern unterschiedlicher Materialien und Dokumente, die bildhauerische Bearbeitung, die Präsentation – das verlangt verschiedene Räume. Als Stadtrat Peter Schmidt einmal zu Besuch im Atelier war, hat er als ehemaliger Berufsschullehrer die Lage sofort verstanden. „Sie brauchen EVA“, erklärte er Roese, „Eingang, Verarbeitung, Ausgang.“
Das ist Vergangenheit. Vor Weihnachten war das Atelier leergeräumt, ein paar Arbeiten verschenkt, eine Menge weggeworfen. Raum zum Lagern hat Roese nicht. „Meine professionelle Arbeit ist tot“, sagt er. Aber bitter klingt es nicht. Es ist auch befreiend, den Kampf gegen schwierige Umstände aufzugeben, nicht mehr immer um Unterstützung bitten zu müssen. Und es ist klar, dass die künstlerische Arbeit weitergeht, wenn auch nicht mit den Mitteln der Bildhauerei. Wieder sind es Fotos aus den Nachlässen von Soldaten, die ihn umtreiben. Fremde Erinnerungen, die er hochholt und mit eigenen Erlebnissen verbindet. Denn Roese trägt eine Biografie mit vielen tief verstörenden Erlebnissen mit sich, nicht nur aus der Zeit an der Odenwaldschule, deren selbst erlebten Missbrauch er in der Skulptur „Pädagogischer Eros“ satirisch aufgegriffen hat.
Blick in die Abgründe nachgelassener Fotos
Ja, sagt er, Kunst habe für ihn auch einen therapeutischen Aspekt; „ich finde darin eine gewisse Entlastung“. Auf den nachgelassenen und von ihm bearbeiteten Fotos entdeckt er erschreckende Details, posierende Herrenmenschen, makabre Hinrichtungsspiele, zerschossene Kirchenfenster, einen Soldaten, der eine Bombe im Arm hält wie ein Baby. „Nachtmare“ nennt er die Serie in einer Anverwandlung des englischen Begriffs „Nightmares“. Schicksalsmomente, in denen er immer auch die Opfer sieht: „Ich bin wieder genau bei meinem Thema.“