Neue Ausstellung im Kreishaus gibt den Opfern rechter Gewalt...

Lächelnd blicken neun Männer und eine Frau auf den Plakaten in eine Zukunft, die es für sie niemals gab: Sie alle wurden Mordopfer des Terrors aus dem...

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KREIS GROSS-GERAU. Lächelnd blicken neun Männer und eine Frau auf den Plakaten in eine Zukunft, die es für sie niemals gab: Sie alle wurden Mordopfer des Terrors aus dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU).

„Er war der netteste Mensch, den ich je gekannt habe“, heißt es über Mehmet Turgut, der am 24. Februar 2004 am Rostocker Imbisstand erschossen wurde. 1977 in Ostanatolien geboren, wurde Mehmet Turgut nur 27 Jahre alt, ermordet in Deutschland, dem Land seiner Hoffnung auf ein würdevolles Leben. Ihm wie all den anderen Toten, die zwischen 2000 und 2007 ermordet wurden, war – ausgenommen die Heilbronner Polizistin Michèlle Kiesewetter – das südländische Aussehen gemein. Damit entsprachen sie dem Klischee eines Migranten und wurden Opfer des Hasses des NSU: Rechtschaffende Leute, Gemüsehändler, Verkäufer, Imbissbetreiber, Familienväter, die ein arbeitsames Leben führten, wurden von den Gewalttätern hingerichtet.

Mutmaßungen auf Neonazis von Polizei ignoriert

Die Wanderausstellung „Die Opfer der NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“, die am Montag im Kreishaus von Landrat Thomas Will (SPD) eröffnet und von Rechtsextremismus-Expertin Birgit Mair konzipiert wurde, ruft die Gräuel der NSU-Taten in Erinnerung. Vor allem aber wollen die 22 Plakate den Opfern Würde und Gesicht zurückgeben. Sie erzählen neben den Fotos deren Kurzbiografien und zitieren Hinterbliebene. Viele Jahre verdächtigte die Polizei die Ermordeten, in kriminelle Machenschaften verstrickt zu sein: Mutmaßungen Angehöriger, die Täter seien unter den Neonazis zu finden, wurden von den Fahndern ignoriert. Diesen Skandal rief Birgit Mair in Erinnerung, referierte die vielen Ermittlungspannen bei den zehn Morden, den beiden Bombenanschlägen in Köln und den zwölf Banküberfällen im Osten der Republik.

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Mancher erinnert sich: Von „Döner-Morden“ war respektlos die Rede, während die Neonazi-Szene gar nicht erst ins Visier der Ermittler geriet. „Wie konnte das sein? Angehörige der Opfer erzählten mir, sie hätten ihre Vermutung, dass Neonazis hinter den Taten stecken, bei der Polizei geäußert, doch stützte diese sich auf den Tatbestand fehlender Bekennerschreiben, die in der Naziszene üblich seien“, legte Birgit Mair vor Zuhörern des bei der Ausstellungsorganisation federführenden Netzwerkes gegen Rechtsradikalismus dar.

Bestürzend muten die Ermittlungsversäumnisse und Fehler an, wiewohl Beate Zschäpe als einzig noch lebende Verdächtige des federführenden NSU-Trios jetzt seit fast vier Jahren der Prozess gemacht wird – Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begingen 2011 mutmaßlich Selbstmord.

„Die Aufdeckung des NSU kam überraschend, niemand sah damals eine unmittelbare Gefahr durch rechtsextremistische Terroranschläge“, so Mair. „V-Leute des Verfassungsschutzes führten durch ihre Aussage, die NSU-Rädelsführer seien ins Ausland gegangen, wiewohl sie mitten unter uns lebten, zudem in die Irre.“

Auch im zähen Prozess gegen Birgit Zschäpe sieht Mair keinen Weg, den Opfern späte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, zumal das Netzwerk der rechtsradikalen Unterstützer der NSU, die nach Bombenfunden in einer Garage Zschäpes ab 1998 aus dem Untergrund heraus agierte, unbehelligt bleibe.

„Nach zehn Jahren sind ihre Taten, wo nachweisbar, gerichtlich kaum relevant – dies ist der neue Skandal nach dem Skandal.“ Mit der Plakatausstellung wolle sie Betroffenheit wecken über die Erinnerung an die Opfer möglichst viele Menschen erreichen, um sie für das Thema rechter Gewalt zu sensibilisieren, so Mair. Auch Landrat Will richtete den Blick in seiner Ansprache über die NSU hinaus auf Gefahren: „Rechte Gewalt reißt nicht ab. 2015 wurden 1005 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte registriert, mehr als 500 Taten zählte das BKA für das erste Halbjahr 2016. Wegschauen geht nicht mehr.“